Jüdische Gemeinde Norden

Aus Norder Stadtgeschichte
Version vom 7. Juli 2022, 04:27 Uhr von Ostfriesenlord (Diskussion | Beiträge) (→‎Gründung eines Gemeindezentrums)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Jüdische Gemeinde Norden

Basisdaten
Gründung um 1550
Auflösung 27. Mai 1941
Rechtsform Religionsgemeinschaft
Hauptsitz Synagogenweg

26506 Norden

Die Jüdische Gemeinde von Norden ist eine der ältesten Glaubensgemeinschaften der Stadt. Ihre Ursprünge gehen nachweislich mindestens auf das 16. Jahrhundert zurück. Infolge der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten, insbesondere seit der Reichspogromnacht 1938, verließen viele Juden die Stadt. Die letzten wurden 1940 deportiert. Offiziell aufgelöst wurde die Gemeinde am 27. Mai 1941 durch eine Verordnung zum Reichsbürgergesetz, infolge dessen alle Jüdischen Kultusvereinigungen von Amts wegen aufgelöst wurden.

Zur Gemeinde gehörten neben einer Synagoge unter anderem auch Räumlichkeiten für die Gemeindemitarbeiter sowie eine eigene Schule.

Geschichte

Anfänge

Die jüdische Gemeinde von Norden war eine der ältesten in Ostfriesland. Es ist unklar, wann sie sich gründete. Das früheste Zeugnis einer jüdischen Niederlassung in Norden ist ein Brief, den die Emder und Norder Juden am 17. September 1577 an die Gräfin Agnes von Hoya, Herrin des Harlingerlandes sendeten. Der Schutzbrief für den Norder Juden Meyer und seine Familie ist der älteste, der bis heute erhalten ist.[1] Der Grund für dieses Schreiben war ein Streit zwischen der Stadt Emden und Graf Edzard II. in Aurich, die beide jeweils für sich und allein die Erhebung von Schutzgeldern und sogenannten Judengeleiten in Anspruch nahmen. Ob sich Agnes für die Juden eingesetzt hat, ist unbekannt, jedenfalls scheint der Graf als Sieger aus diesem Konflikt hervorgegangen zu sein, denn die Juden wurden nicht ausgewiesen. Der Konflikt war damit jedoch keineswegs gelöst und die ostfriesischen Städte setzten ihre Beschwerden gegen die Juden fort.

Die Gemeinde dürfte jedoch viel älter sein, was aus einem einem Schreiben des in Norden ansässigen Hofjuden Meyer Calmans an die Fürstin Christine Charlotte von Württemberg-Teck hervorgeht. Er schrieb am 22. August 1669, dass die Juden in Norden schon vor hundert Jahren ein Stück Land gepachtet hatten, um darauf einen Friedhof anzulegen.[1] Die Norder Juden lebten zunächst vor allem vom Geldverleih, vom Handel mit gebrauchten Waren (insbesondere Kleider), vom Viehhandel und vom Schlachten. Ihre Erwerbszweige waren sehr beschränkt, denn es war ihnen verboten, in den den Zünften vorbehaltenen Berufszweigen tätig zu sein. Nach den unruhigen Anfängen konnten die Juden einige Zeit in relativer Ruhe und Beständigkeit leben. 1618 gab es sechs jüdische Haushalte in der Stadt. Bis 1645 stieg die Zahl auf 12, bis 1680 auf 18 Haushalte an (1660 etwa 100 Personen). 1645 lebten zwei jüdische Familien im eigenen Haus, die übrigen zehn zur Miete. Unter den Juden gab es damals vier Schlachter, einen Kleinhändler und einen Tabakhändler.[2] Sie ließen sich vor allem am Neuen Weg, der Uffenstraße und der Heringstraße nieder.[3]

Am 15. März 1594 wurden die Norder Juden von der Schlachter- und der Schneiderzunft vor dem Landtag in Aurich verklagt. Man warf ihnen Verstöße gegen die Gepflogenheiten des Marktes, Monopolismus und Wucherei, vor. Die jüdischen Schlachter wurden zudem beschuldigt, entgegen einer Regelung von 1591 ihr Fleisch zu regulären Preisen auch an Nicht-Juden verkauft zu haben. Den Angeklagten wurde für den Wiederholungsfall die Landesverweisung angedroht.[4] Erkennbar wurde hier die deutliche Benachteiligung der jüdischen Gewerbetreibenden, die sich nicht in jenen Zünften und Gilden organisieren durften, die den Markt und seine Gestaltung faktisch beherrschten.

1719 lebten 29 Juden in Norden, von denen 6 als wohlhabend, 13 als mittelmäßig und 10 als gemein (einfach) im Einwohnerverzeichnis bezeichnet wurden.[5] 1749 wurden 44 jüdische Familien in Norden gezählt. Da die preußische Regierung, die seit 1744 die Herrschaft in Ostfriesland übernommen hatte, die Zahl der jüdischen Haushalte auf 16 reduzieren wollte, gab es in den folgenden Jahrzehnten zunächst keine weitere Zunahme. Die jüdischen Familien lebten weiterhin in wirtschaftlich einfachen bis armseligen Verhältnissen. Zu den Handelsgütern gehörten nun neben den gebrauchten Waren wie Kleidern vor allem Korn, Wachs, Honig, Tee, Alteisen, Zinn, Kupfer, Tabak, Federn und Porzellan.[2]

Gründung eines Gemeindezentrums

Wann die Gemeinde ihren ersten Gebetsraum einrichtete, ist unklar. 1679 erwarb sie ein Haus am Neuen Weg 110, das sie bis 1804 als Synagoge, Schule und Wohnhaus nutzte. Auch eine Mikwe (ritueller Waschraum zur Hygiene) war in dem Gebäude untergebracht. Vielleicht wurde das Gebäude zuvor bereits mietweise als Betsaal bzw. Synagoge mit Mikwe genutzt.[1]

Rund um dieses Haus entstand ab 1804 das jüdische Gemeindezentrum. Das Grundstück hatte seit 1752 einer jüdischen Familie aus Bargebur gehört. Noch 1804 begann der Bau der Synagoge, für die der preußische König Friedrich Wilhelm III. 100 Reichstaler bewilligte. Den Rest der Bausumme finanzierten Gemeindemitglieder und nichtjüdische Spender aus Aurich, Emden und Greetsiel.[1] Im Gegensatz zu den anderen ostfriesischen Orten sah sich die jüdische Gemeinde in Norden von Beginn an mit einem offenen Antisemitismus konfrontiert, der sich mit dem verstärkten Zuzug von polnischen und russischen Juden infolge der dortigen Pogrome von 1881 bis 1884 sogar noch verstärkte. Darüber hinaus gab es zur Jahrhundertwende Gerüchte, wonach die zugezogenen Juden die Cholera übertragen würden. Der Ostfriesische Kurier schrieb dazu, das "mehr ungezogene als ernst zu nehmende Gebaren gegen die Fleischnot birgt auch in Bezug auf die drohend ihr Haupt erhebende Cholera ernste Gefahren. Denn mit der Oeffnung der Grenze kommen nicht nur russische Schweine, sondern auch – russisch polnische Juden über die Grenzen!" Das amtliche Kreisblatt von Norden schlägt in dieselbe Kerbe und schreibt: "Viel gefährlicher sind in ihrer unglaublichen Unsauberkeit die russisch-polnischen Juden."[6]

1891 folgte der Neubau eines neuen Gebäudes für den Vorsänger, in dem sich auch ein Frauenbad befand und Holz zum Sargbau sowie die Totenbahren gelagert wurden. Diesem Bau ging ein älterer Bau voran, über den jedoch nichts näher bekannt ist.[7] Im selben Jahr wurde auch das Wohnhaus des Lehrers erbaut.[8] Hier wohnte später die bekannte jüdische Widerstandskämpferin Recha Freier mit ihrer Familie. Neben der Eingangstür sind die Namen von Gemeindevorstand und -ausschuss sowie das Baujahr in die Steine geritzt. Auch der Name von Rechas Vater ist hier zu lesen.[9]

Am Synagogenweg 4 entstand die ehemalige jüdische Schule. Sie wurde 1871 als Anbau an das Haus Neuer Weg 110 errichtet. Die Schule hatte einen kleinen Schulgarten, für den Sportunterricht wurde die Turnhalle des Norder Turnvereins genutzt. 1903 wurde der vordere, ursprüngliche Bau der Nummer 110 abgebrochen und mit einer Lehrerwohnung im Obergeschoss neu errichtet.[9] Bereits um 1857 gab es einen Jugendverein innerhalb der jüdischen Gemeinde, der die Förderung talentierter Schüler zum Ziel hatte und sich aus freiwilligen Zuwendungen der Gemeindemitglieder finanzierte.

Der Vorstand der jüdischen Gemeinde, aufgenommen am Eingang der Synagoge (1926).


Der offene Antisemitismus in Norden dürfte dazu beigetragen haben, dass sich der Zionismus, die jüdische Nationalbewegung, die die Errichtung, Bewahrung und Rechtfertigung eines jüdischen Nationalstaates in Palästina zum Ziel hat, von Norden aus über Ostfriesland und die Niederlande ausbreitete. Ab 1897 gab es zionistische Vorträge in Norden. In einem Artikel von Die Welt heißt es dazu:

Norden. Unsere ostfriesischen Juden, ein körperlich und geistig kerngesunder Stamm, welcher aus spagnolischer und aschkenasischer Mischung hervorgegangen ist, hatte vor einigen Tagen zum erstenmale Gelegenheit, vom Zionismus zu hören und sich für ihn zu begeistern. Herr Dr. Loewe aus Jaffa, der Palästina schon oft in allen seinen Teilen bereist hat, hielt hier einen ebenso glänzenden wie interessanten Vortrag über ‚Palästina, Land und Leute‘. Kein Mitglied der Gemeinde versäumte es, dem ‚Esra‘, in dessen Namen der Propagandavortrag stattfand, beizutreten, zum Theil mit sehr namhaften Beiträgen. Herr Dr. Loewe wird morgen in zwei anderen Städten Ostfrieslands jüdisch-nationale Beiträge Vorträge halten, um dann die zionistische Propaganda nach den Niederlanden zu tragen. Die Furcht vor dem bösen Zionismus, die geflissentlich von gewissen Rabbinern in's Volk getragen wurde, ist hier unbekannt. Gleichwohl darf man diese Erfolge umso weniger unterschätzen, als sie die Grundlage einer nach Westfriesland und Holland gerichteten Agitation sein werden. Wir wünschen dem Rufer im Streite weiteren guten Erfolg.[10]

Das sich verschärfende Klima führte langsam, aber sicher zu einem Schwinden der Gemeinde. 1864 gab es in der Stadt 316 Juden bei 6.096 Einwohnern, 1895 waren es immerhin noch 253.[11] Zur solidarischen Teilung von Krankheits- und Beerdigungskosten wurde am 13. Oktober 1912 eine Kranken- und Beerdigungsbrüderschaft gegründet. Am 8. Februar 1922 gründete sich ein jüdischer Frauenverband, die jedoch am 1. Juni 1939 wieder aufgelöst wurde. Die vorgenannte Brüderschaft wurde am 16. Oktober 1940, wahrscheinlich von den Behörden, aufgelöst.[12]

In den 1920er-Jahren gab es unter den Norder Juden noch über 30 Viehhändler und 14 Schlachter. Andere waren in anderen Berufen tätig. Es gab je zwei Kommissionäre und Buchhalter, einen Bürstenmacher, drei Lederfabrikanten, 19 Kaufleute und sieben Händler, darunter zwei Altwarenhändler, ein Getreidehändler, ein Produktenhändler, ein Eisenhändler und ein Pferdehändler. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich ein jüdischer Zahnarzt in Norden niedergelassen.[2]

Niedergang

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das Klima gegenüber der Norder Juden noch feindlicher. Schon kurz nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten begann schrittweise die Entrechtung und Enteignung jüdischer Bürger. Die 1931 verabschiedete Reichsfluchtsteuer fungierte seit 1934 fast ausschließlich als Sondersteuer für jüdische Auswanderer.[13] Bereits ab 1933 wurden die ersten der rund 1.000 Juden im Kreisgebiet in Schutzhaft genommen.[2][14] Ärzte, Juristen, Lehrer und Beamte wurden entlassen oder mit einem Berufsverbot belegt.[15] Zu dieser Zeit gab es noch 50 Handelsbetriebe und Geschäfte mit jüdischen Eigentümern. Ihre Erwerbstätigkeit richtete sich vor allem auf den Handel mit Vieh, Düngemitteln, Getreide und Brennstoffen aus. Zudem unterhielten sie Handelsvertretungen und betrieben Schlachtereien.[14]

Christine Neemann und Julius Wolff werden von SA-Männern stadtauswärts über die Osterstraße (damals: Adolf-Hitler-Straße) getrieben.
Zahlreiche Schaulustige beobachten das unwürdige Treiben.

Am 22. Juli 1935, kurz vor der Einführung der Rassegesetze, wurden Juden, die mit arischen Norder Frauen Kontakt hatten, mit diesen durch die Hauptstraßen des Ortes getrieben, um den Hals ein Schild mit herabwürdigenden Aufschriften. Ein bekanntes Bild dieser Zeit zeigt die Demütigung des jüdischen Lehrers Julius Wolff mit seiner arischen Freundin Christine Neemann. Später wird Elise Extra, deren Verlobten man nicht rechtzeitig fand, aus ähnlichen Gründen durch die Straßen getrieben. Sie trägt, ebenso wie Neemann, ein Schild mit der Aufschrift "Ich bin ein deutsches Mädchen und habe mich vom Juden schänden lassen" um den Hals. Wolff trug ein Schild, auf dem "Ich bin ein Rasseschänder" stand. Alle drei wurden nach der Demütigung in Schutzhaft genommen.

Seit 1937 konnten Bankkonten jüdischer Kunden unter fadenscheinigen Vorwänden per Sicherungsanordnung gesperrt werden. Nach dem eingeschränkten Zugang zum Banksafe folgte 1939 die zwangsweise Übertragung des Kapitalvermögens von Juden auf nur noch eingeschränkt zugängliche Sicherungskonten. Die Aufsicht darüber übernahmen die Zollfahndungsstellen.[13] Bis dahin hatten bereits rund 500 Juden den Landkreis Norden nach Südamerika, Großbritannien, Palästina oder in die Vereinigten Staaten verlassen.[16]

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es auch in Norden zu den von Goebbels und Hitler befohlenen Ausschreitungen gegen die Juden, die später als Reichskristallnacht bzw. Reichspogromnacht bezeichnet wurden, die allerdings einen in dieser Nacht für die damaligen Verhältnisse zunächst ungewöhnlichen Verlauf hatten: Der Kreisleiter der NSDAP von Norden-Krummhörn, Lenhard Everwien, wurde erst um Mitternacht von dem zufällig in Emden anwesenden Gauhauptstellenleiter Meyer erreicht. Dieser teilte ihm mit, dass der zuständige SA-Führer in Norden, Sturmbannführer Wiedekin, nicht erreichbar sei. Everwien solle, so im Ablauf, "dies nun persönlich in die Hand nehmen". Nachdem Everwien zunächst untätig blieb, wurde er dann gegen 01:00 Uhr in der Nacht direkt von Oldenburg aus aufgefordert, Wiedekin zu wecken. Everwien rief daraufhin die Partei- und die SA-Führung sowie die Feuerwehr in den frühen Morgenstunden des 10. November zusammen. Er informierte sie über die Weisung, dass die Synagoge anzuzünden und alle Juden zu verhaften seien. Von der Feuerwehr verlangte er Garantien zum Schutz der Nachbarhäuser. Der inzwischen geweckte Wiedekin gab nach der Alarmierung der SA den Befehl an die ihm unterstellte SA in Dornum weiter.[17]

Ab jetzt unterscheidet sich der Ablauf nicht von anderen Orten: Kurz nach dem Befehl brannte die Synagoge, die Feuerwehr wurde herbeigeholt, um eine Ausbreitung des Feuers auf nicht-jüdischen Besitz zu verhindern, jedoch nicht die brennende Synagoge zu retten. Die Juden wurden anhand einer Judenkartei von der SA zusammengetrieben, gedemütigt und zum Norder Schlachthof getrieben, wo sie in Viehboxen gesperrt und anschließend verhört wurden. Während dieser Stunden wurden die jüdischen Wohnungen durchsucht, wobei das Bargeld beschlagnahmt und viel anderes gestohlen wurde.[2] Am nächsten Tag wurden sie zunächst zu Aufräumarbeiten an der Synagoge eingesetzt, wobei die SA sie zwang, noch erhaltene Kultgegenstände zu verbrennen. Anschließend wurden die Frauen entlassen und die Männer zum Teil in der Schule, zum Teil im Norder Gefängnis untergebracht. Am 11. November wurden sie schließlich zusammen mit etwa 200 anderen jüdischen Ostfriesen nach Oldenburg überstellt, wo sie in einer Kaserne zusammengetrieben wurden. Etwa 1.000 jüdische Ostfriesen, Oldenburger und Bremer wurden anschließend mit einem Zug in das Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich von Berlin deportiert, wo sie bis Dezember 1938 oder Anfang 1939 inhaftiert blieben.[6][18]

Zunächst nach und nach wieder freigelassen, mussten sie die Folgekosten der angeordneten Zerstörung der Synagoge selbst aufbringen; der Wiederaufbau der Synagoge selbst wurde verboten. Alle Konten jüdischer Bürger wurden gesperrt und mit einer Judenabgabe von 500 bis 3.000 Reichsmark belegt, sie erhielten lediglich einen Freibetrag von 150 Reichsmark im Monat. Die Überreste wurden an einen einen Altwarenhändler zur Verwertung und Beseitigung übergeben. Jüdische Geschäfte und die Schule wurden geschlossen und die jüdische Bevölkerung aus Arbeits- und Lehrstellen, Schulen und Vereinen ausgeschlossen. Viele von ihnen emigrierten, Häuser und Besitz mussten sie unter Wert verkaufen. Wohnten 1938 noch 78 Juden im Ort und weitere 10 im zur Synagogengemeinde gehörenden Marienhafe, sank diese Zahl bis zum 16. April 1940 auf 11 Personen. Neun von ihnen wurden kurz darauf abtransportiert, während die beiden halbwüchsigen Söhne eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter ab Oktober 1940 bei auswärtigen Verwandten versteckt werden konnten und nicht mehr auffindbar waren.[6]

Mit der Deportation der letzten Jüdinnen und Juden endete 1940 die fast 400-jährige Geschichte der Jüdischen Gemeinde Norden. Offiziell aufgelöst wurde die Gemeinde am 27. Mai 1941 durch eine Verordnung zum Reichsbürgergesetz, wonach alle Jüdischen Kultusvereinigungen von Amts wegen aufgelöst wurden. Fast 50 % der jüdischen Norder wurden im Holocaust ermordet. Eine jüdische Gemeinde existiert seitdem nicht mehr. Nach 1945 sind nur drei frühere jüdische Gemeindeglieder für kurze Zeit nach Norden zurückgekehrt.[2] Es kam jedoch nicht mehr zur Bildung einer jüdischen Gemeinde.

In Norden wurden die Prozesse gegen die Hauptverantwortlichen 1948 und 1951 geführt, nachdem man bereits kurz nach dem Krieg die Ermittlungen aufgenommen hatte. Das Gericht verhängte in beiden Prozessen bei 13 Verfahrenseinstellungen und sieben Freisprüchen Freiheitsstrafen zwischen ein und vier Jahren, von denen der größte Teil auf Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem mussten zahlreiche ehemalige Parteimitglieder der NSDAP Wiedergutmachung bei der Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs leisten.

Die bis heute noch vereinzelt in Norden lebenden Juden in Norden gehören größeren, noch existierenden Gemeinden an. Von ihnen gehört jedoch keiner mehr zu den Überlebenden des Holocausts. Der letzte, diesen Wahnsinn überlebende Norder Jude war Heinz Samson, der 2009 verstarb und sich durch seine Stiftung maßgeblich für die Förderung der Stadt Norden und der Bewahrung der Erinnerung an die ehemalige, jüdische Gemeinde eingesetzt hat.

Gemeindegebäude

Neben der Synagoge errichtete die jüdische Gemeinde ab 1804 noch weitere Gebäude.[9] Es entstanden das Haus des Vorsängers, in dem sich unter anderem auch das Sekretariat und der Versammlungssaal der Gemeinde befand. 1891 ließ die Gemeinde das Haus neu erbauen.[19] Neben der Eingangstür sind die Namen von Gemeindeausschuss und Baukommission zu lesen.

Das Nachbarhaus (Synagogenweg 3) ließ die Gemeinde 1891 als Lehrerhaus errichten. In diesem Gebäude wurde die Widerstandskämpferin Recha Freier am 29. Oktober 1892 geboren. Neben der Eingangstür sind die Namen von Gemeindevorstand und -ausschuss sowie das Baujahr in die Steine geritzt. Auch der Name von Rechas Vater ist hier zu lesen.[9]

Am Synagogenweg 4 entstand die ehemalige Jüdische Schule. Sie wurde 1871 als Anbau an das Haus Neuer Weg 110 errichtet. Die Schule hatte einen kleinen Schulgarten, für den Sportunterricht wurde die Turnhalle des Norder Turnvereins genutzt. 1903 wurde der vordere, ursprüngliche Bau der Nummer 110 abgebrochen und mit einer Lehrerwohnung im Obergeschoss neu errichtet.[9]

Gemeindeentwicklung

Die jüdische Gemeinde in Norden unterhielt ab 1878 eine Außenstelle auf Norderney, um den vielen dortigen jüdischen Badegästen gerecht zu werden. Weitere Orte, deren jüdische Bürger von der Norder Synagogengemeinde aus betreut wurden, waren Hage, Marienhafe und Westerende. In Norden wohnten die meisten Juden im Altstadtbereich, konkret an der Sielstraße, der Heringstraße und der Uffenstraße.[16]

Jahr Mitglieder
1618 6 Haushalte
1645 12 Haushalte
1660 ~ 100 Personen
1680 18 Haushalte
1802 193 Personen
1804 193 Personen
1811 232 Personen
1829 219 Personen
1861 329 Personen
1867 314 Personen
1871 309 Personen
1885 253 Personen
1895 252 Personen
1905 286 Personen
1925 231 Personen
1933 204 Personen
1938 88 Personen
1940 11 Personen

Gedenkstätte und Stolpersteine

An die jüdische Gemeinde erinnern die Gedenkstätte für die niedergebrannte Synagoge am Synagogenweg und ein Mahnmal auf dem Jüdischen Friedhof. Die Gedenkstätte auf dem Grundstück der ehemalige Synagoge entstand 1987 auf Initiative Ökumenischer Arbeitskreis Synagogenweg. Zentraler Bestandteil des kleinen Platzes ist ein bereits im September 1985 freigelegtes Grundmauerfragment der alten Synagoge.[2] Das sich unterhalb des Straßenniveaus befindliche Mauernfragment wird über eine mehrstufige terrassenförmig angelegte Treppe erschlossen. Ein Hinweisschild über dem Mauernfragment erklärt seine Bedeutung. Abgerundet wird der Platz der Synagoge durch einen Gedenkstein zur Erinnerung und zur Mahnung. Die Einweihung der Anlage erfolgte aus Anlass der Woche der Begegnung im Jahre 1987 (16. bis 18. August 1987) im Beisein ehemaliger Norder Juden und deren Angehörigen.[20] Der bis dahin Judenlohne genannte Weg wurde durch die Stadt in Synagogenweg umbenannt. Weitere Gebäude des alten jüdischen Gemeindezentrums sind im unmittelbaren Umfeld der ehemaligen Synagoge vollständig erhalten.

Literatur

  • Gödeken, Lina (2000): Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Aurich

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Fraenkel, Daniel (2005): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Wallstein, Göttingen, S. 1122–1139
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 Norden (Kreis Aurich, Ostfriesland): Jüdische Geschichte / Synagoge auf Alemannia Judaica, abgerufen am 14. April 2021
  3. Ökumenischer Arbeitskreis (2021): Kleiner Rundgang durch Norden, Norden, S. 6
  4. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 62
  5. Schreiber, Gretje (2017): Der Norder Hafen. Geschichte, Schifffahrt und Handel, Aurich, S. 113
  6. 6,0 6,1 6,2 Gödeken, Lina (2000): Rund um die Synagoge in Norden. Die Geschichte der Synagogengemeinde seit 1866, Aurich
  7. Schreiber, Gretje (2006): Norder Häuser (XIX). Die Bewohner des Neuen Weges, in: Ostfriesischer Kurier, 17./18. August 1006, S. 12
  8. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 86
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 Ein Rundgang durch Norden, abgerufen am 25. März 2021
  10. Die Welt. Jahrgang 1, Heft 28 vom 10. Dezember 1897
  11. Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 13
  12. Beschreibung von Norden in der historischen Ortsdatenbank der Ostfriesischen Landschaft
  13. 13,0 13,1 Chronik der Sparkasse Aurich-Norden, abgerufen am 2. Juni 2021
  14. 14,0 14,1 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 241
  15. Ökumenischer Arbeitskreis (2021): Kleiner Rundgang durch Norden, Norden, S. 12
  16. 16,0 16,1 Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 92
  17. Rheiderland Zeitung vom 4. April 1933
  18. Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 242
  19. Schreiber, Gretje (2006): Norder Häuser (XIX): Die Bewohner des Neuen Weges, in: Ostfriesischer Kurier, 17./18. August 2006, S. 12
  20. Bericht zur "Woche der Begegnung auf Norden.de, abgerufen am 14. April 2021

Siehe auch