Norddeich Radio

Aus Norder Stadtgeschichte
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Norddeich Radio

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Basisdaten
Gründung 1. Mai 1907
Auflösung 31. Dezember 1998
Rechtsform Anstalt des öffentlichen Rechts (bis 1994)

danach Teil der Telekom AG

Hauptsitz Utlandshörn 7

26506 Norden

Norddeich Radio war eine bedeutende Küstenfunkstelle mit letztem Hauptsitz in Utlandshörn. Von 1907 bis 1998 wurden von der Station Funksprüche und Telegramme in alle Welt geschickt und mehreren havarierten Besatzungen das Leben gerettet. Betreiber war die Deutsche Bundespost bzw. die Deutsche Post AG mit der Telekom als Rechtsnachfolger.

Neben der Hauptfunkstelle in Utlandshörn verfügte die Küstenfunkstelle im Laufe ihrer Geschichte über Anlagen in Osterloog (heute Waloseum), an der Deichstraße in Westermarsch II (heute Nordsee-Camp Norddeich) sowie am Funkweg in Westgaste. Anders als der Name vermuten lässt, befand sich die Anstalt folglich niemals in Norddeich, sondern nur am Norddeich.

Geschichte

Anfangsjahre

Die Anfänge zur Gründung einer Küstenfunkstelle gehen zurück auf den technischen Fortschritt und der damit einhergehenden Nutzbarkeit für die maritimen Streitkräfte des Kaisers und die deutsche Handelsflotte. Physikpionieren wie Ferdinand Braun und Guglielmo Marconi war es um die letzte Jahrhundertwende gelungen, Signale über große Entfernungen über Funk zu übertragen. Obwohl es schon von der Norder Küstenfunkstelle derartige Anlagen gab, griff die Kriegsmarine nicht auf diese zu, da sie von der ausländischen Firma Marconi betrieben wurden, die Marine jedoch das deutsche Unternehmen Telefunken vorzog. Beide System konnten (und wollten von Seiten der Hersteller) nicht miteinander kommunizieren.

Am 1. Mai 1907 nahm die Anlage - damals noch als Funkentelegraphenstation Norddeich mit dem Rufzeichen KND ihren Betrieb auf dem heutigen Gelände des Nordsee-Camps an der Deichstraße in Westermarsch II auf. Zunächst kommunizierte sie nur mit Kriegsschiffen, ab dem 1. Juni des Jahres dann auch mit Handelsschiffen. Der Standort erwies sich auf seiner küstennahen Lage als vorteilhaft und wurde von der Reichsregierung anderen Standorten wie Borkum vorgezogen, insbesondere da der Marschboden sich in Versuchen als förderlich für die Leitfähigkeit der elektronischen Signale erwies. Das Areal wurde von den Behörden gut zwei Jahre zuvor für 16.422,60 Reichsmark erworben.[1] Verantwortlich für den technischen Betrieb war die Deutsche Reichspost, der Aufbau der Anlage selbst wurde jedoch von Telefunken vollzogen und von der kaiserlichen Marine in Auftrag gegeben.[2]

Noch im selben Jahr wurde mit dem Bau eines zweistöckigen Betriebsgebäudes sowie vier, jeweils 65 Meter hohen, eisernen Sendemasten begonnen. Da der Marschboden zwar eine gute Bodenleitfähigkeit für die Funksignale besaß, jedoch insbesondere nach Regenfällen sehr weich war, mussten die Bauarbeiter mehrere Holzbohlenkonstruktionen auslegen, um Mensch und Material zu befördern. Die für den Betrieb verwendete Sendeanlage (der sogenannte Knallfunkensender) mit 1,5 kW Leistung wurde in einem separaten Gebäude aufgebaut, welches unter Zuhilfenahme dicker Filzplatten und schwerer Doppeltüren gegen den starken Lärm gedämmt war.

Schon im Sommer 1905 wurden die ersten Funkversuchen unternommen, im April 1906 konnte dann das 400 Kilometer entfernte Kriegsschiff SMS München mit Morsezeichen erreicht werden. Im Juli desselben Jahres wurde dann die maximal mögliche Empfangsentfernung mit 600 Kilometern erprobt. Da die Verantwortlichen mit den Ergebnissen jedoch noch nicht zufrieden waren, wurden die Antennen um jeweils zehn Meter erhöht. Durch die Aufstockung konnte ein 1.600 Kilometer entfernt liegendes deutsches Schiff, der Kreuzer Vincta, einwandfrei kontaktiert werden.[1]

Am 30. April 1907 wurde die Einrichtung vom zuständigen Norder Postamt abgenommen. Damit war die erste deutsche Küstenfunkstelle geboren, neun weitere sollten in den nächsten Jahren folgen. Nachdem internationale Differenzen durch eine gemeinsame Konferenz beigelegt wurden, konnte bzw. durfte die Küstenfunkstelle in der gesamten Welt und auch nicht-deutsche Schiffe kontaktieren. Insbesondere in der Anfangszeit war die Belastung für das Personal sehr hoch. Gerade einmal vier Telegraphenbeamte versendeten und empfingen in 12-Stunden-Schichten über ihre Morseapparate mit Kopfhörern, unterstützt wurden sie ab 1908 von einem Antennenwärter. Die Telegraphenbeamten kommunizierten dabei praktisch ausschließlich mit deutschen Schiffen, von denen es im Jahre 1914 bereits 380 mit Morseapparaten ausgestattet waren.[3] Die Arbeitstische waren damals noch alles andere als bequem, geschweige denn ergonomisch. Vielmehr handelte sich um einfache Holztische und -stühle.

1908 wurden zwei von Telefunken entwickelte, innovative Löschfunkensender installiert, die mit 2,5 kW und 10 kW sowie mit nochmals um 20 Meter erhöhten Antennen die maximale Reichweite auf mehr als 3.000 Kilometer erhöhen konnte. 1913 wurde der Station das neue Rufzeichen kav zugeteilt. Ebenfalls um diese Zeit herum begann man damit, horizontal polarisierte Antennenformen auszuprobieren. Nach erfolgreichen Versuchsreihen ergänzte eine fest installierte Drahtantenne die vertikalen Antennensysteme. Erste Versuche der drahtlosen Telefonie brachten noch 1912 keine zufriedenstellenden Ergebnisse über Entfernungen von mehr als 50 Kilometern, im darauffolgenden Jahr wurden die ausgestrahlten Zeitungsmeldungen hingegen in über 5.000 Kilometer Entfernung aufgenommen.

Erster Weltkrieg

Bei Manövern der Kaiserlichen Marine übernahmen Funker aus den eigenen Reihen den Betrieb der Station, die dabei - in Vorbereitung auf bzw. als Übung für einen Ernstfall - durch Infanteristen aus Aurich geschützt wurde. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Küstenfunkstelle folgerichtig als kriegswichtig eingestuft und entsprechend geschützt.[3] Die nahegelegene, alte Itzendorfer Schule diente als Unterkunft für die Wachmannschaften, weshalb der Unterricht von dort verlagert werden musste.[4] Das Kommando wurde von der Deutschen Reichspost an die Kaiserliche Marine übertragen. Aufgabe von Norddeich Radio war es nun vor allem, deutsche Kriegs- und Handelsschiffe sowie U-Boote vor dem Feind zu warnen. Insbesondere im Laufe des Jahres 1915 nahm der Funkverkehr mit den Marinefahrzeugen vor der britischen Küste erheblich zu. Dieser Umstand dauerte noch bis einen Monat nach Kriegsende: Im Dezember 1918 räumte die Marine die Anlage und übergab sie formlos zurück an die Reichspost.[3]

Nach dem Krieg erhielt die Station einen leistungsfähigen Sender aus Marinebeständen und wurde aufgrund steigender Telegrammzahlen personell aufgestockt. Norddeich Radio war nun stets mit mindestens zwei Telegraphenbeamten besetzt. Ebenso wurden Versuche in drahtloser Telefonie bzw. Sprechfunk fortgesetzt, mittlerweile schon mit Prototypen von Röhrensendern mit Ausgangsleistungen zwischen 1 und 2,5 Kilowatt.

Ab 1921 befasste sich die Küstenfunkstelle vor allem mit der Verbreitung von Meldungen über gute Fischereigründe (die sogenannten Heringstelegramme) und allgemeinen Warnungen. Nach der Aufnahme des Flugverkehrs zwischen London und Bremen wurde auch einige Jahre die Wetterberatung für die Flugzeuge übernommen, ehe in diesen standardmäßig eigene Sender verbaut wurden. Ein Jahr später gelang mit der einwandfreien Kontaktaufnahme zur Cap Polonio, einem südlich der Kapverdischen Inseln (Westafrika) fahrenden Schiff (ca. 6.000 Kilometer von der Küstenfunkstelle entfernt), ein großer Erfolg. Zurückzuführen war dies vor allem auf eine Verbesserung der Sendeanlage sowie mit Hilfe eines Röhrensenders auf dem betreffenden Schiff. Norddeich Radio wurde es daraufhin vom Reichspostministerium gestattet, allgemein Kontakt über große Entfernungen aufzunehmen.[5]

Da Sender und Empfänger sich durch die größere Leistung zunehmend gegenseitig störten, wurde es erforderlich, eine neue Empfangsstelle zu errichten. Einen geeigneten Standort fand man am heutigen Funkweg in Westgaste - damals noch unbebaute Stadtrandlage. Das zur Station gehörende Gebäude, das heute die Anschrift Im Spiet 28 trägt, steht bis heute. 1925 brachte ein kräftiger Herbststurm drei im Aufbau befindliche Antennentürme zum Einsturz, so dass die Inbetriebnahme weiterer geplanter Sender verzögert wurde. Ende der 1920er Jahre entdeckte man dann das vorteilhafte Ausbreitungsverhalten von Kurzwellen für den internationalen Funkverkehr, so dass 1929 ein 10 kW starker Kurzwellensender an der Heimatstation nebst Empfängern in Westgaste eingebaut wurden. Doch auch diese neue Anlage wurde bald von den immer zahlreicher werdenden Elektromotoren in der Stadt gestört, sodass 1931 erneut ein Umzug stattfand - diesmal so weit abwärts von Siedlungen, wie es eben ging: Nach Utlandshörn.[5] Am 8. Dezember des Jahres wurde die Anlage dort in Betrieb genommen und löste die bisherige Hauptstation an der Deichstraße ab.[6] Die Ausrüstung umfasste die für damalige Zeiten modernsten Empfangssysteme für Lang-, Mittel-, Grenz- und Kurzwelle sowie mehrere Dipole mit Reflektoren (Richtantennen) und Drahtantennen. Sendeseitig wurden 20 Kilowatt starke Kurzwellensender für Telegraphie und Telefonie eingebaut. Die Weltwirtschaftskrise am Anfang dieses Jahrzehntes ließ auch die Telegrammzahlen via Norddeich einbrechen; jedoch setzte sich die positive Entwicklung bereits in der Mitte der 1930er Jahre weiter fort. Die Olympischen Sommerspiele 1936 in Deutschland brachten den deutschen Funkstationen Rekord-Telegrammzahlen ein. Ebenfalls 1936 experimentierte man mit der Ankopplung des öffentlichen Telegraphennetzes an die Sendeanlagen, so dass Telegramme ohne Zwischenstation bei den Funkbeamten gegeben werden konnten. Technische Weiterentwicklungen bei Sendern und Empfängern vergrößerten die Reichweite im Sprechfunkbetrieb beträchtlich.

Die Antennen in Westgaste wurden aus unerfindlichen Gründen erst nach 1939 abgebaut. Eine Aufnahme zeigt das Betriebsgelände mit dem Gebäude Im Spiet 28 und dem Wasserturm, der erst 1939 fertiggestellt wurde.

Zweiter Weltkrieg

In den Folgejahren begleitete Norddeich Radio sogar die in der Antarktis operierende deutsche Walfangflotte, ehe diese mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 nicht mehr auslaufen konnte. Im gleichen Jahr wurde auch der Sender Osterloog fertiggestellt.[5] Doch auch weiterhin wurde vom ersten Standort an der Deichstraße gesendet. Aus Osterloog wurde zunächst vor allem Propaganda gen Großbritannien übertragen.[7] Erst 1970 wurde der Sendebetrieb an der Deichstraße eingestellt und nach Osterloog verlagert.[5] Die letzten Masten wurden 1973 dorthin verlegt.[2] Einer dieser Masten wurde auch Papstfinger genannt.[8] Die Station Deichstraße wurde später zu einem Campingplatz umgebaut und ist bis heute als Nordsee-Camp bekannt.

Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde Norddeich Radio erneut als kriegswichtig eingestuft und wegen seiner militärischen Bedeutung zur Koordination der Marineeinheiten direkt bei Kriegsbeginn unter das Kommando der Kriegsmarine gestellt. Der öffentliche Verkehr wurde kurz danach eingestellt, alle auf See befindlichen deutschen Schiffe erhielten offene oder verschlüsselte bzw. getarnte Nachricht von dem bevorstehenden Kriegsbeginn.

Im Herbst 1939 bestand die Küstenfunkstelle Norddeich Radio (nun auch Hauptfunkstelle Norddeich genannt) aus folgenden Organisationseinheiten:

Auch der Sender in Osterloog wurde Norddeich Radio formell unterstellt, jedoch nicht für den eigentlichen Funkverkehr genutzt (siehe oben).

Alle Anlagen der Hauptfunkstelle Norddeich waren mit leichten Flugabwehrkanonen (2 und 3,7 cm) gegen alliierte Luftangriffe, insbesondere durch Tiefflieger, gesichert. Um im Falle einer Zerstörung der Anlagen sofort Ersatz zu haben, ließ die Wehrmacht bereits in den ersten Kriegstagen in den Niederlanden eine Empfangsfunkstelle in Muiderberg aan Zee sowie eine Sendefunkstelle in Kootwijk einrichten, zu denen Mitarbeiter aus Ostfriesland regelmäßig zur Sicherstellung der Betriebsfähigkeit abgeordnet wurden. In den letzten Kriegstagen erhielten alle Anlagen je eine Tonne Sprengstoff zur Selbstzerstörung, die jedoch nie zur Anwendung kamen. Gegen Kriegsende wurde der Sprengstoff in das Marine-Durchgangslager Tidofeld verlagert, wo er wenig später durch Unachtsamkeit oder Vorsätzlichkeit alliierter Soldaten explodierte.[9]

Die Alliierten versuchten während des Zweiten Weltkriegs zu keinem Zeitpunkt, die Hauptfunkstelle Norddeich zu zerstören. Die abgehörten Funksignale wurden vielmehr gezielt ausgewertet, gaben sie doch wertvolle Hinweise über die Standorte deutscher Kriegsschiffe und U-Boote auf See. Am 6. Mai 1945 besetzten kanadische oder britische Streitkräfte die Küstenfunkstelle schließlich und verboten jeglichen Funkverkehr. Erst 1948 konnte dieser wieder einschränkungsfrei aufgenommen werden.[5]

Nachkriegszeit

Nach Kriegsende erwog die britische Besatzungsmacht die Zerstörung oder Verlagerung der Anlagen nach Großbritannien. Von diesem Vorhaben nahm man jedoch recht bald wieder Abstand, da die Küstenfunkstelle durchaus auch den eigenen Schiffen Sicherheit gewährleisten konnte. Nach und nach wurden alle zuvor angebotenen Dienstleistungen wieder aufgenommen, so etwa der Überseefunkdienst nach Südamerika, küstennaher Seefunkdienst auf Grenzwelle, Ausstrahlung von Wettermeldungen und Zeitzeichen und vieles mehr.

Um den wieder stark steigenden Verkehrszahlen im Nachkriegsdeutschland gewachsen zu sein, wurde Norddeich Radio entsprechend ausgebaut. Die Firma MAN lieferte etwa um 1950 herum zwei leistungsstarke Dieselgeneratoren, die in einem eigens hierfür errichteten Kühlturm aus Holz montiert wurden. Die Station wurde zudem nicht der Deutschen Bundespost, sondern dem Nordwestdeutschen Rundfunk, einem Vorläufer des NDR und des WDR unterstellt. Ein neuer Grenzwellensender sowie ein moderner Antennenumschalter, mit dem alle 19 Sender beliebig auf die etwa zwanzig verschiedenen Antennen geschaltet werden konnten, rundeten die Ausstattung ab. Etwa Mitte des Jahrzehnts wurde erstmals die Sendung Gruß an Bord gesendet, bei der die Moderatoren mit den auf See befindlichen deutschen Seemännern Gespräche führten und Angehörige diesen ihre Grüße übermitteln konnten. Die Sendung wurde direkt in der Hauptzentrale produziert und im Radioprogramm des Norddeutschen Rundfunks (NDR) übertragen.

1951 bis 1969

1957 konnte schließlich das 50-jährige Bestehen der Küstenfunkstelle mit einem großen Festakt begangen werden und erregte auch weit über die Grenzen der jungen Bundesrepublik hinaus das Interesse an der Küstenfunkstation. Die Zahl der Mitarbeiter war auf etwa 150 Personen angestiegen, was vor allem auf die steigende Nachfrage im Bereich der Telefonie zurückzuführen war. In dieser Zeit wurde - wie bereits in den 1920er Jahren - kurzfristig auch Flugfunkverkehr abgewickelt, jedoch bald wieder eingestellt.

Ende Mai 1965 besuchte Königin Elisabeth II. die Bundesrepublik. Die bei ihrer Verabschiedung auf hoher See gefertigten Bildern wurden hierbei drahtlos zu Norddeich Radio übertragen und kamen dort schneller an als der manuelle Transport mit dem Hubschrauber. Dieser experimentelle Bildübertragung gilt als eine technische Innovation und als Meilenstein in diesem Gebiet, wodurch die Küstenfunkstelle erneut die internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Nachdem die Deutsche Bundespost die Immobilien vom Norddeutschen Rundfunk zurückgekauft hatte, erfolgte ab Mitte der 1960er Jahre eine grundlegende Modernisierung der Küstenfunkstelle. Dazu gehörte die Umsiedlung mehrerer Sendeanlagen zur Station Osterloog sowie die Errichtung zusätzlicher Sendeanlagen, die dem damals neuesten Stand der Technik entsprachen.

1970 bis 1989

Im November 1970 wurde der letzte Sender in der Sendefunkstelle Norddeich abgeschaltet, die letzten Masten 1973 nach Osterloog verbracht.[2] Neben den fernsteuerbaren Sendern in Osterloog verfügte Norddeich Radio mit seiner Betriebszentrale Utlandshörn über weitere Sendeanlagen in der Nähe von Cuxhaven und in Elmshorn. Die Inbetriebnahme des Inmarsat-Systems und Erfindungen wie das GMDSS führten dazu, dass die auf 260 Mitarbeiter ausgebaute Küstenfunkstation zu Beginn der 1980er Jahre ihren Höhepunkt der Auslastung überschritten hatte und in den darauffolgenden Jahren immer weniger gefragt war. Technische Innovationen führten dazu, dass Funkoffiziere an Bord der Schiffe nicht mehr vorgeschrieben waren und die Kommunikation immer mehr verselbstständigt wurde. Bereits 1989 war ein beachtlicher Anteil der Schiffe mit der international verfügbaren Satellitentechnik ausgerüstet, durch die im Selbstwählverfahren Verbindungen zu nahezu beliebigen Telefonanschlüssen weltweit aufgebaut werden konnten. Das Absetzen von Notrufen inklusive genauer Positionsangabe war per Knopfdruck möglich und erforderte keine umständliche Peilortung mehr.

Am 1. September 1973 besuchte Bundeskanzler Willy Brandt die Küstenfunkstelle. Dabei wurde er von seinem persönlichen Referenten Günter Guillaume begleitet, der etwa ein halbes Jahr später als Spion der DDR enttarnt wurde.[10]

1990 bis 1999

Diese und weitere technische Innovationen zeichneten das Ende der Küstenfunkstelle und seiner Schwesterstationen ab. Hinzu kam eine Vorgabe der Europäischen Union, die Zahl der westeuropäischen Küstenfunkstellen zu verringern. Endgültig besiegelt wurde das Schicksal von Norddeich Radio mit der Privatisierung der Deutschen Bundespost in die Deutsche Post AG und die Überführung in die Sparte Telekom. Die Telekom führte einschneidende Umstrukturierungen durch. Zunächst wurde der Kurzwellenverkehr von Rügen Radio bei Norddeich Radio angegliedert. Auf Eigeninitiative der Mitarbeiter hin wurde schließlich das sogenannte Daten Service Center in Utlandshörn gestartet: Um dem weiteren Stellenabbau neue Aufgabenfelder zur Arbeitsplatzsicherung entgegenzusetzen, beschäftigte man sich ab 1996 für die Mutterfirma Deutsche Telekom AG mit der Umsetzung der neuen DAB-Technik.

1995 bzw. 1996 stellte man sämtlichen Telegraphiefunkverkehr ein, im darauffolgenden Jahr wurde der Grenzwellensprechfunk abgeschaltet. Elbe-Weser Radio und Rügen Radio waren ganz aufgegeben worden, der UKW-Sprechfunkdienst für Nord- und Ostsee wurde schließlich bis zur endgültigen Schließung am 31. Dezember 1998 von Norddeich Radio aus durchgeführt. Die letzte Sprechfunksendung lautete: „This is Norddeich Radio. Over and out“. Die funktechnische Abdeckung der deutschen Seegebiete für Notfälle wird heute über Bremen Rescue Radio der Seenotleitung Bremen sichergestellt.

2000 bis heute

Im Gebäude der Sendefunkstelle Osterloog befindet sich heute das Waloseum, eine Einrichtung der Seehundstation Norddeich. In den Räumen der Empfangsfunkstelle Utlandshörn befand sich bis Ende 2011 ein Callcenter der Vivento Customer Services (VCS), einem Tochterunternehmens der Deutschen Telekom AG. Danach stand das Gebäude einige Jahre leer, ehe es im Oktober 2015 in eine Flüchtlingsunterkunft für bis zu 180 Menschen umgewandelt wurde. Am 11. Dezember 2019 kam es dort zu einem größeren Brand, bei der die Norder Feuerwehr mehrere Menschen retten musste. Insgesamt waren gut 120 Einsatzkräfte vor Ort.[11] Gegen die Unterkunft protestierten und klagten mehrere Anwohner oder verließen ihren Wohnort. Bis heute werden Flüchtlinge in der ehemaligen Küstenfunkstelle untergebracht und von der Kreisvolkshochschule betreut.

Im Jahre 2001 bildete sich auf Initiative eines Funkamateurs der Verein Funktechnisches Museum Norddeich Radio, der am historischen Standort der einstigen Empfangsfunkstelle in Utlandshörn ein Museum einrichtete. Es zeigte dort unter anderem Funkgeräte von Schiffen sowie Empfangs- und Sendegeräte (samt einem originalen Arbeitstisch) von Norddeich Radio. Nach Abriss und Umbau der Baulichkeiten in Utlandshörn verzog das Museum nach Dornum (Ortsteil Nesse), wo es sich seither befindet. Ein weiteres Museum befand sich in einem Gebäude der alten Brennerei Doornkaat. Ein neues, großes Museum wurde am 21. März 2015 an der Osterstraße 11 A eröffnet.

Trivia

Der Name Norddeich Radio erscheint vor allem unbedarften Dritten im doppelten Sinne irreführend. Zum einen hat sich die Anlage niemals in Norddeich, sondern immer in Westermarsch II befunden. Westermarsch II Radio wäre jedoch wohl zu lang gewesen und weniger klanghaft. Vollständig falsch ist der Name jedoch nicht, berücksichtigt man die ursprüngliche Definition von Norddeich, womit die Gesamtheit aus dem Lintelermarscher und Westermarscher Seedeich an der nördlichen Seeseite bezeichnet wurde.

Zum anderen ist der Namensbestandteil Radio nach heutigen Maßstäben verwirrend. Das Wort bezieht sich auf eine historische Bezeichnung für Radiowellen bzw. Sendefunktechnik und hat nichts mit einem Radiosender wie Radio Nordseewelle zu tun.

Galerie

Weiterführende Links

Literatur

  • Canzler, Gerhard (2004): Norddeich-Radio. 1905-1998, Weener

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 303
  2. 2,0 2,1 2,2 Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 11
  3. 3,0 3,1 3,2 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 304
  4. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 40f.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 321
  6. Chronik von Norddeich Radio, abgerufen am 27. Juli 2021
  7. Geschichte der Sendestation Osterloog abgerufen am 26. Juli 2021
  8. Sanders, Adolf (1999): Norden - wie es früher war, Gudensberg, S. 70
  9. Geschichte des Senders Osterloog, abgerufen am 27. Juli 2021
  10. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 73
  11. Einsatzbericht der Feuerwehr Norden vom 11. Dezember 2019, abgerufen am 27. Juli 2021

Siehe auch