Theelacht

Aus Norder Stadtgeschichte
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Theelacht

Basisdaten
Gründung um 884
Auflösung -
Rechtsform Genossenschaft
Hauptsitz Altes Rathaus

Die Theelacht ist der weltweit älteste Zusammenschluss auf genossenschaftlicher Basis mit einer über 1.100 Jahre alten Geschichte und wird deshalb auch als älteste Genossenschaft der Welt bezeichnet. Die Theelacht ist neben der Leegemoorgesellschaft und der Altenbürgerlande eine der drei bis heute noch tagenden Norder Genossenschaften. Ihr Name entstammt dem Altniederdeutschen und bedeutet sinngemäß Gemeinschaft mehrerer Theele (urbarer Ländereien).

Geschichte

Die Ursprünge der Theelacht reichen zurück in das Jahr 884, als die Friesen unter Bischof Rimbert die Wikinger in der Schlacht von Nordendi besiegten. Um die einst verlorenen und nun gemeinsam zurückeroberten Gebiete ebenso gemeinschaftlich zu bewirtschaften und zu verwalten, gründeten sie die Theelacht. Bewirtschafteten sie die Flächen anfangs selbst, ging man recht bald dazu über, die Ländereien zu verpachten und so ihren Nutzen daraus zu ziehen. Von anfänglich mehreren tausend Hektar Land waren um 1800 nur noch etwa 1.200 Hektar verblieben, da ein Großteil der Ländereien an Kirche, Klöster und Landesherren verkauft oder verschenkt worden waren.

Unklar ist, wo die Theelacht anfangs tagte. Am naheliegendsten ist, dass sie seit jeher im Rathaus tagten. Nachdem der Vorgängerbau des Alten Rathauses 1531 von Balthasar von Esens gebrandschatzt wurde, tagte die Theelacht vorübergehend im Weinhaus, bis sie in die bis heute genutzte, sogenannte Theelkammer im Alten Rathaus umziehen konnte. In den Wirren des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie der Inflation und Währungsreform ging das Gemeinleben der Theelacht weitestgehend verloren, konnte jedoch nach 1945 wieder vom Theelachter Johannes Fleeth zu neuem Leben erweckt werden.[1] Im Dezember 1949 fand dann die erste Tagung der Nachkriegszeit wie gewohnt in der Theelkammer statt.[2]

Sämtliche Ländereien, die Theel-Lande, befinden sich faktisch im Eigentum der Genossenschaft. Den genossenschaftlichen Prinzipien folgend wurden die Anteile an dieser Genossenschaft gerecht an die an der Schlacht beteiligten Familien bzw. deren männliches Oberhaupt verteilt. Heute gehören noch etwa 450 Hektar Land zur Theelacht, wobei diese im Grundbuch nicht mehr als Eigentümerin vermerkt nicht. Dennoch werden nach wie vor Einkünfte aus der Verpachtung erwirtschaftet, die halbjährliche an die Anteilseigner ausgezahlt werden. Der Betrag ist mehr symbolisch. Als einzige der drei Traditionsgesellschaften kann nur die Leegemoorgesellschaft noch nennenswerte Einkünfte erzielen, was vor allem auf die Pachteinnahmen der Gewerbebetriebe in Leegemoor zurückzuführen ist.

Sitten und Gebräuche

Die Theelachter entwickelten eine eigene Rechtsordnung, die seit jeher deutliche demokratische Züge enthielt. Entscheidungen werden stets durch Mehrheitsentscheidung gefällt. Der Vorstand der Theelacht wird dabei aus vier gewählten Theelachter zusammengesetzt, die die Theel-Lande verwalten sowie zweimal jährlich die Rechnungslegung organisieren und leiten.

Diese Zusammenkünfte erfolgen stets nach einem genau festgelegten Zeremoniell. So wird grundsätzlich eine angemessene Kopfbedeckung (in der Regel ein Zylinderhut) getragen und ausschließlich ostfriesisches Niederdeutsch (Platt) gesprochen, am Kamin gewärmtes Theelbier (heute meist Einbecker) getrunken und Tabak aus weißen Tonpfeifen geraucht. All dies lediglich im Scheine von Petroleumlampen. Die Gebräuche ähneln damit denen der Leegemoorgesellschaft. Bei allen Zusammenkünften ist stets auch ein Stadtdiener (Stadtdeener) dabei, der gemeinsam mit dem Theelboten (Theelbaad) für Ruhe und Ordnung während der Sitzungen sorgen soll. Der Theelbote hat bzw. hatte zudem die Botengänge für die Theelachter zu erledigen und die Tagesordnung durch lautes Rufen zu verkünden, was er durch Schlagen eines Stockes auf einen Tisch verstärkte.[3] Ursprünglich holte er auch die Pachtgelder bei den Pächtern ab, wobei er - zusammen mit dem Vogt - sogar polizeiliche Befugnisse hatte. Der Stadtdiener nahm den einkehrenden Bauern bereits am Eingang den Spazierstock ab - sofern sie diesen nicht selbst im Eingangsbereich neben der Tür beließen - damit dieser nicht für Handgreiflichkeiten genutzt werden konnte ("De Stock mutt bi d'Dör stahn blieben").[4] Bis heute wird die Aufgabe des Stadtdieners zur Brauchtumspflege von einem Norder Polizeibeamten wahrgenommen.

Nach dem Tode eines Theelachters gehen seine Anteile auf seinen jüngsten lebenden Sohn über, der in Ostfriesland, anders als in den meisten Teilen Deutschlands, grundsätzlich der legitime Erbe des Vaters ist. Diese Theelachter nennen sich Arvburen (Erbbauern). Nur ihnen ist das aktive und passive Wahlrecht gestattet. Die anderen Söhne des Erbbauern waren jedoch keinesfalls von der kompletten Erbfolge ausgeschlossen. Sie konnten ebenfalls Ansprüche an den Anteilen anmelden. Man nennt dies Antasten. Konnten sie erfolgreich antasten, erhielten sie einen Teil der Anteile ihres Vaters. Dadurch vervielfältigte sich der väterliche Anteil praktisch, sodass die Gesamtzahl der Anteile bis heute schwankt.

Waren keine männlichen Erben eines Erbbauern vorhanden, fällt der Anteil nach dessen Tod an den nächsten weiblichen Nachkommen. Damit dürfen diese Frauen jedoch keinesfalls an der Versammlung teilnehmen. Bis heute sind Frauen strikt von den Versammlungen ausgeschlossen. Vielmehr werden ihre Rechte bei der Versammlung von ihren Ehemännern wahrgenommen. Diese mit Erbtöchtern verheirateten Ehemänner werden Pelsbauern (Pelsburen, abgeleitet von pelsen; sprich: veredeln) genannt. Die aus der Ehe mit dem Pelsburen hervorgehenden Nachkommen reihen sich wieder in die Blutlinie des Großvaters ein und können damit ebenfalls auf dessen einstige Ländereien antasten.

Verstirbt ein Erbbauer hingegen kinderlos, fallen seine Anteile an die Gemeinschaft. Ähnlich wird verfahren, wenn sich ein Erbbauer dazu entscheidet, seine Anteile zu verkaufen und anschließend verstirbt. Entscheidet sich die Theelversammlung jedoch dazu, den Erbteil in einen Kaufteil umzuwandeln, der Anteil beim Kaufbauern (Koopburen). Letztgenannte beziehen ihre Anteile also nicht aus Erbschaft, sondern durch Kauf. Sie haben weit weniger Rechte als die Erbbauern und dürfen zwar an der Theelachtsversammlung teilnehmen, haben jedoch kein Stimmrecht.

Auch die Kaufbauern können ihre Anteile vererben, wobei sich die Erbreihenfolge aus dem normalen, bürgerlichen Recht ergibt. Entstanden sind die Kaufanteile wohl durch Veräußerung von Erbbauern in Zeiten wirtschaftlicher Not. Obgleich nachvollziehbar, ist dies in der Theelacht äußerst ungerne gesehen und Erbbauern, die ihre Anteile verkaufen, werden als Landaffen bezeichnet, was eine bewusst an das Tier erinnernde Entlehnung aus dem Niederdeutschen darstellt und sich darauf bezieht, dass derjenige von seinem Land ab, also off bzw. aff ist.

Jeder neue Theelachter musste zudem den anderen eine Kanne Theelbier ausschenken. Hierfür hatte er seine Kopfbedeckung abzusetzen.[3]

Theelrecht

Grundlage der Sitten und Gebräuche der Theelacht ist - neben dem Gewohnheitsrecht - das sogenannte Theelrecht. Die erste schriftliche Überlieferung, die Consuetudines Theelachticae, legte Dr. jur. Hector Friedrichs von Wicht vor. Friedrichs war studierter Jurist und langjähriges Mitglied der Theelacht. Er hatte bereits den Hausmannsstand (Stand der Hausbesitzer bei der Ostfriesischen Landschaft) rechtlich als Syndikus (Anwalt) vertreten. Als die Theelacht 1583 zusammen mit Unico Manninga von Ewo von Jemgum vor Graf Edzard II. verklagt wurde, weil Ewo Theelachtsanteile käuflich erworben hatte, was die Genossenschaft nicht anerkennen wollte, legte Friedrichs 1585 dem Gericht einen ausführlichen Schriftsatz vor. Diese Darstellung, welche 1759 unzureichend veröffentlicht wurde, gilt als die erste schriftliche Fassung des Theelrechts.

Theellande

Die historischen Theele in der Bucht von Hilgenriedersiel.

Der Grundbesitz der Theelacht wird in acht Theele (Bezirke) eingeteilt. Je zwei unterstehen verwaltungsmäßig einem von den Mitgliedern gewählten Theelachter.

1. Neugroder Theel: Westlich von Theener bis Neßmersiel, etwa bei Kiphausen (547,5 Diemat)

2. Gaster Theel: Nördliche Hälfte der Hagermarsch (242,5 Diemat)

3. Osthover Theel: Südlich von Theener, bei Ost- und Westdorf bis zur Neßmer Mühle (296 Diemat)

4. Eber Theel: Bei Ost- und Westdorf, Hagermarsch, Harketief und Blandorf (124,5 Diemat)

5. Trimser Theel: Südlich von Theenerstrich und in der Hagermarsch (219,5 Diemat)

6. Ekeler Theel: Südlich von Theener und bei Nesse (263 Diemat)

7. Hover Theel: Bei Harketief. Kankebeer und Westercoldinner Grashaus (199,5 Diemat)

8. Linteler Theel: Nord- und südlich des Theenerstrichs (264,5 Diemat)

Zusammengerechnet umfassen also die Thellande 2157 Diemat. Ursprünglich waren sie größer, da ihnen noch die bedeutenden Schenkungen an die Kirche, die Klöster und das ostfriesische Herrscherhaus zuzurechnen sind.[5]

Persönlichkeiten

Der Theelacht gehörten zahlreiche namhaften Persönlichkeiten an. So verwaltete etwa der Norder Tabakfabrikant Johann Heinrich Lubinus ab 1793 als Theelachter (Verwalter) die Ekeler und Linteler Theele. Seine und seiner Nachkommen Zugehörigkeit zur Theelacht war dadurch möglich, dass seine Großmutter, die Pastorenfrau in Arle, Swaantje geb. Warntjes (1686 - 1747), einem Theelbauerngeschlecht in der Hagermarsch entstammte.[6]

Dr. jur. Hector Friedrichs von Wicht (siehe oben) gehörte deshalb der Theelacht an, da die von Wicht bereits seit hunderten Jahren die Außenhöfe (Uthöfe) der Theelacht im Hager Raum verwalteten.[7]

Trivia

Im Jahr 2014 wurden eine Straße nach der Theelacht benannt. Damit einhergehend wurde auch der einst südliche Teil der Bahnhofstraße nach der Genossenschaft Altenbürgerlande benannt.

Die Nörder Danzkoppel verwendet bei ihren Tanzauftritten Kleidungsstücke, die denen der Theelachtsbauern in der Zeit um 1640 nachempfunden sind.

In ihrer über 1100-jährigen Geschichte musste die Theelacht im Jahr 2020 im Zuge der COVID 19-Pandemie das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ihre Versammlungen ausfallen lassen, ebenso im Jahre 2021.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 11
  2. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 61
  3. 3,0 3,1 Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 35
  4. Canzler, Gerhard (1994): Norden. Museen im Alten Rathaus, Norden, S. 147
  5. Rack, Eberhard (1967): Besiedlung und Siedlung des Altkreises Norden, Münster, S. 32f.
  6. Schuh, Friedrich (1997): Ostfriesische Landschaft. Geschichte der Familie Lubinus, Aurich (Link)
  7. Deeters, Walter (1993): Ostfriesische Landschaft. Biographie des Hector (Hicco) Friedrichs von Wicht, Aurich (Link)

Quellenverzeichnis

  • Folkerts, Rudolf (1986): Die Theelacht zu Norden, Norden
  • Schreiber, Gretje (1994): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 104-108
  • Theelacht.de, Internetauftritt der Theelacht

Siehe auch