Westermarsch II

Aus Norder Stadtgeschichte
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Westermarsch II

Wappen
Höhe 0,7 - 1,3 m ü. NN
Fläche 11,687 km²
Einwohner 651 (31.12.2022)
Gründung um 1821
Eingemeindung 1. Juli 1972
Bevölkerungsdichte 34 Einwohner/km²

Westermarsch II ist ein Stadtteil von Norden und hat 651 Einwohner (Stand: 31. Dezember 2022), die sich auf einer Fläche von rund 11,69 km² verteilen. Insbesondere der östliche Bereich ist heute stark mit Norddeich verwachsen, weshalb eigentlich in Westermarsch II befindliche Häuser und Straßen oftmals Norddeich zugerechnet werden.

Namensherkunft

Der Name Westermarsch I kennzeichnet einerseits den vorherrschenden Landschaftstyp des Ortes (Marsch) und bezeichnet andererseits seine Lage im Westen des Norderlandes bzw. der Stadt Norden. Durch die römische Ziffer unterscheidet sich der Ort von Westermarsch I.

Erstmalige Erwähnung findet die Westermarsch in 1361. Spätere Bezeichnungen waren ebenfalls Westermarsch (1541 / 1542). In 1553 wird die Bezeichnung die Westermersch erwähnt. 1823 und 1826 folgen dann Westermarsch 1. und 2. Bauernschaft und schließlich die heutige Bezeichnung ab 1858.

Wappen

Das Wappen des Ortes zeigt ein goldenes, dreiblättriges Kleeblatt umringt von drei sechszackigen Sporenrädern im Verhältnis von 2:1 auf blauem Grund. Das Kleeblatt spielt in der Landwirtschaft eine große Rolle als sogenannter Gründünger und verweist damit auf die besondere Rolle der Landwirtschaft in der Westermarsch.

Die Sporenräder wurden aus dem Stadtwappen von Norden übernommen, welches dieses wiederum aus dem Wappen der bis in das 15. Jahrhundert hinein vorherrschende Häuptlingsfamilie Idzinga übernommen hat. Der blaue Grund verweist auf die Lage des Ortes an der Wasserkante bzw. Deichlinie. Das Wappen hat in seiner Aufmachung deutliche Ähnlichkeiten zu dem von Ostermarsch.

Bevölkerungsentwicklung

Jahr Einwohner
1821 464
1848 542
1871 603
1885 613
1905 651
Jahr Einwohner
1925 631
1933 647
1939 591
1946 838
1950 857
Jahr Einwohner
1955 871
1956 745
1961 673
1970 694
2016 507
Jahr Einwohner
2020 396
2021 417
2022 651
2023
2024

Geografie

Westermarsch II befindet sich im Kalkmarschgebiet östlich der Leybucht in einer Höhe von bis zu 1,3 m über Meeresniveau (NN). Die nördliche und westliche Grenze stellt die Leybucht bzw. die Nordsee dar. Die östliche Grenze zu Norddeich verläuft hauptsächlich mittig des ursprünglichen Verlaufs des Dörper Wegs. Im Süden ist die Abgrenzung deutlich schwieriger und historisch gewachsen. Sie folgt keiner auf den ersten Blick erkennbaren Logik, sondern bezieht sich vielmehr auf einzelne Grundstücke bzw. Flure, die entsprechend ihrer Besitzverhältnisse und Zugehörigkeiten zu einem Rott gehörten. In etwa kann man jedoch sagen, dass die südliche Grenze von Westermarsch II beim Lehmweg beginnt und sich dann in westliche Richtung bis Utlandshörn erstreckt.

Westermarsch II entspricht der alten Rotteinteilung Rott 5 bis Rott 9, während Westermarsch I Rott 1 bis Rott 4 umfasst. Rott ist eine alte Bezeichnung für einen Bezirk, der eine bestimmte Anzahl an Ländereien umfasste. Hieraus erklärt sich die diffus wirkende Grenze zu Westermarsch I, da sich mehrere Bauern mit ihren verteilten Ländereien zu einem Rott zusammenschlossen. (siehe Abschnitt Verwaltung)

Geschichte

Mittelalter

Die Westermarsch auf einer Karte von Ubbo Emmius (um 1595).

Durch die erstmalige Erwähnung der Westermarsch im Jahre 1361 lässt sich eine frühere Besiedlung dieser Gegend ableiten. Für den Bereich der Mittelmarsch weisen archäologische Funde auf eine Besiedlung vor dem 16. Jahrhundert hin, als dort mutmaßlich ein Werkplatz von Warftbewohnern gefunden wurde.

Seit Anbeginn der Besiedlung ist das Land den Launen der Nordsee ausgeliefert. Sturmfluten und damit einhergehende Überschwemmungen bestimmten seit jeher den Verlauf der Deichlinie und machten den Bewohnern das Leben schwer. Dennoch lag es ihnen fern, das Land einfach aufzugeben, da der Marschboden äußerst fruchtbar war und sehr gute Erträge lieferte.

Bis zum vollständigen Untergang der nordwestlich von Westermarsch gelegenen Insel Bant konnten sich die Menschen mit relativ niedrigen Deichen schützen und errichteten ihre Häuser auf Warften, die sie je nach Bedarf erhöhten. Warften sind künstlich geschaffene Erhöhungen der Landschaft. Man kann sie sich als Hügel vorstellen, auf denen die Erbauer ihre Gebäude errichteten. Noch heute sind viele Warften in der Landschaft unverändert gut erkennbar und viele Gebäude stehen weiterhin auf solchen.

Ihre Ländereien schützten die Bewohner, wenn überhaupt, mit kleinen Dämmen vor den Fluten der Nordsee. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begann man, diese kleinen Ringdeiche seewärts miteinander zu verbinden, so dass in den ersten Jahrzehnten nach 1100 ein fast geschlossener Hauptdeich entstand. Die damaligen Deiche waren in ihrer Bauweise jedoch keinesfalls mit den heutigen zu vergleichen und boten nicht immer Schutz. Besonders verheerende Deichbrüche und dadurch folgende Überschwemmungen sind für die Jahre 1164, 1196, 1219 und 1334 überliefert.

Die Zweite Marcellusflut, die auch als Grode Mandränke (Großes Ertrinken) in die Geschichte einherging, richtete 1362 große Verwüstungen in der gesamten Westermarsch an. Zahlreiche Menschen und Tiere kamen ums Leben, ein Großteil der Gebäude und Felder wurde zerstört. Auch gerieten weite Landesteile der Westermarsch unter Wasser, die erst Jahrhunderte später durch Eindeichungen wieder dem Wasser abgewonnen werden konnten. Die im 9. Jahrhundert entstandene Leybucht gelangte zu ihrer größten Ausdehnung, die Einbruchsrinne wurde auch Leide genannt.

Gerade einmal 12 Jahre später kam es erneut zu einer verheerenden Sturmflut, der Ersten Dionysiusflut, die erneut weite Teil der Westermarsch überschwemmte. Das südlich von Westermarsch gelegene, äußerst wohlhabende Dorf Westeel wurde sogar gänzlich zerstört und infolge dessen aufgegeben. Die Leide verschwand, als die Leybucht ihre größte Ausdehnung erhielt. Durch zahlreiche Eindeichungen in den Folgejahrhunderten entstand das Norder Tief aus der Leybucht.

Bei der Zweiten Dionysiusflut in 1377 drang die Nordsee abermals tief in das Landesinnere vor. Überliefert ist, dass die Fluten bis an das Dominikanerkloster nahe des Norder Stadtzentrums reichten. Durch diese verheerende Sturmflut bekam die Stadt Norden erstmals direkten Zugang zur Nordsee. In der Folge errichteten die Bewohner der Westermarsch einen Deich entlang des Langhauser Tiefs, der von Utlandshörn bis nach Norden reichte: Den Alten Westermarscher Deich.

Doch nicht nur die Sturmfluten hatten viele Menschenleben gekostet, auch grassierte eine schwere Pestepidemie von 1350 bis 1360 in der Region. Um 1400 suchte eine weitere, namentlich nicht bekannte schwere Seuche das Land heim. Dazu kam, dass der Beginn der Kleinen Eiszeit im 14. Jahrhundert zu deutlich schlechten Erträgen führten. Die Menschen waren nicht nur körperlich, sondern auch finanziell geschwächt. Diese gesamtgesellschaftlichen Missstände führten nicht zuletzt zum Aufkommen des Ostfriesischen Häuptlingswesens.

Neuzeit

Während des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) wurde auch die Westermarsch von einem Söldnerheer des berüchtigten Heerführers Ernst von Mansfeld als Rückzugsort genutzt. Seine Truppen drangsalierten die Bevölkerung von 1622 bis 1624 und schikanierten sie fortwährend mit kaum zu erfüllenden Forderungen. Die Westermarscher Bewohner, die selbst oftmals kaum genug zum Leben hatten, mussten für Unterbringung und Verpflegung der Soldaten sorgen, ohne dafür eine Gegenleistung erwarten zu können.

Zur Zeit der Bedeichung war die alte bäuerliche Sozialordnung noch in Kraft, sodass die Landnahme in Rotten erfolgte. So kolonisierten die aus dem Raume Norden angesetzten Siedler in der Ostermarsch in acht Rotten, in der Lintelermarsch in drei Rotten und in der Westermarsch in neun Rotten.[1]

Ein alter Bummert am Westermarscher Seedeich. Die Deichstraße ist hier noch unbefestigt (um 1940).
Die Küstenfunkstelle Norddeich Radio in Utlandshörn.

Bei der Weihnachtsflut im Jahre 1717 entstanden in Westermarsch II sieben Grundbrüche im Seedeich. Die Bewohner konnten die Deichbrüche nicht schnell genug reparieren, vermutlich, da sie selbst zunächst genug damit zu tun hatten, ihre eigenen Existenzen halbwegs wieder aufzubauen. So kam es, dass bei einer erneuten Sturmflut am 24. Februar 1718 erneut zu schweren Schäden kam. Das Land war nun durch das Salzwasser teils entwertet, die Schäden der Sturmflut dadurch umso immenser. Die Ortschaft Itzendorf wurde 1721 vollends aufgegeben. An sie erneut heute nur noch die Itzendorfplate, eine kleine Untiefe im nordöstlichen Bereich von Westermarsch II. Die Deichlinie wurde weiter ins Innenland verlegt und verlief nun in etwa entlang der Grenze zu Westermarsch I, beginnend in Utlandshörn und in Norden endend.

Erschwerend zu den ohnehin starken Fluten kam hinzu, dass in der Westermarsch - beispielsweise auf der Uden-Soltjers Warf - über Jahrhunderte Salz aus sogenanntem Salztorf gewonnen wurde. Dies führte dazu, dass der ohnehin schon tiefliegende Boden weiter abfiel und dadurch noch anfälliger für Überflutungen wurde.[2] Im Falle der vor der Westermarsch liegenden Insel Bant förderte der Raubbau sogar den kompletten Niedergang dieser Insel. Die Salzsiederei wurde schließlich im frühen 17. Jahrhundert aufgegeben. Die Februarflut 1825 hatte zwischen dem Kleinen Krug und dem Großen Krug insgesamt 16 Deichbrüche zur Folge. Bei Itzendorf brach der Deich sogar in einer Breite von 70 Metern. Es wurden mehrere tausend Hektar Land überflutet und mehrere hundert Hektar versandet. Abgesehen vom direkten Schaden hatte die Sturmflut auch weitere wirtschaftliche und sogar gesellschaftliche Folgen. Von 88 Bauern in Westermarsch II mussten 46 ihre Höfe und Ländereien veräußern, da sie sie und die damit einhergehenden Pflichten, besonders das Spatenrecht (Keen nich will dieken, de mutt wieken), nicht mehr erfüllen konnten. Um derartiges künftig zu vermeiden, wurde 1900 die Deichacht Norden gegründet. Die Bewohner mussten nun nicht mehr selbst den Deich instandhalten, sondern nur noch einen Beitrag an die Deichacht zahlen, die diese Aufgabe bis heute wahrnimmt.

Kinder spielen im Schnee, im Hintergrund Utlandshörn mit Norddeich Radio (um 1970).

Um 1771 grassierte in der Westermarsch eine große Viehseuche, die für die rund 600 Einwohner des Dorfes zu schwerer wirtschaftlicher Not führte.

Von 1821 bis 1823 kartografierte das Königreich Hannover einen Teil seines Landes. Wenngleich Ostfriesland nicht dazu zählte, taucht in dieser Zeit erstmals die amtliche Trennung von Westermarsch I und Westermarsch II wie auch Süderneuland I und Süderneuland II auf. Offenkundig stand die Trennung dieser bis dahin jeweils zusammengehörenden Gemeinden im Zusammenhang mit Bestrebungen zur Vereinheitlichung von Fläche und Größe der einzelnen Gliedgemeinden im Land. Die nun entstandenen Gemeinden hatten jeweils eine annähernd gleiche Größe und Bevölkerungszahl.

1867 bzw. 1871 fiel ganz Ostfriesland von Hannover (erneut) an das Königreich Preußen. Die preußischen Beamten begannen, nun auch Ostfriesland zu kartografieren. 1873 bis 1875 wurde die Westermarscher Straße gebaut, bis dahin erfolgte ein Warentransport vor allem über die zahlreichen Flüsse und Kanäle.

In den Jahren 1905 bis 1906 wurde die Küstenfunkstation Norddeich in Utlandshörn errichtet und zunächst dem Kaiserlichen Postamt am Norder Marktplatz angegliedert. Die Küstenfunkstelle war von großer militärischer Bedeutung und bis zu ihrer Schließung am 31. Dezember 1998 ein tragender Faktor für die Sicherheit auf See. Während des Ersten Weltkriegs unterstand die Küstenfunkstelle dem Kommando der Kaiserlichen Marine. Das Gebäude der Itzendorfer Schule wurde von der Marine requiriert, um dort Soldaten unterzubringen. Nachdem die Marine im November 1918 die Küstenfunkstelle geräumt hatte, wurde diese durch Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrats besetzt. Im September 1919 formierte sich eine Bürgerwehr, der 57 Mann angehörten. Sie verfügte über 50 Waffen, wurde aber schon wenig später wieder aufgelöst.

Auch im Zweiten Weltkrieg erlangte die Küstenfunkstelle wieder große Bedeutung und wurde entsprechend auch mit Flakstellungen gegen feindliche Luftangriffe gesichert. Zudem entstand in dieser Zeit ein Kriegsgefangenenlager im nahegelegenen Neu-Itzendorf, in dem 15 französische Soldaten inhaftiert waren. Ein weiteres Kriegsgefangenenlager wurde in Utlandshörn errichtet, auch dort waren ausschHfließlich Franzosen inhaftiert, deren Zahl - über die Zeit schwankend - 15 bis 40 betragen hat. Das Lager trug die Bezeichnung AK Nr. 1016a.

Durch Aufnahme ausgebombter Emder sowie Vertriebener aus den ehemals deutschen Ostgebieten stieg die Einwohnerzahl nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich und erreichte 1946 bereits 730 Einwohner, von denen 190 Flüchtlinge oder Vertriebene waren. Bis 1950 stieg die Einwohnerzahl nochmals um 22 auf insgesamt 752 Einwohner. Die Zahl der Flüchtlinge bzw. Vertriebenen lag bei 200. Kurz nach Kriegsende ermordete eine aus sechs ehemaligen Kriegsgefangenen bestehende Bande den Bauern Steffens. Einer der Täter wurde deswegen im August 1946 vom High Court der britischen Militärregierung zum Tode verurteilt.

In den Folgejahren kam es wanderte ein großer Teil der neuen Bewohner wieder ab, so verlor der Ort praktisch die gleiche Zahl, wie er erst kürzlich hinzugewonnen hatte. Ursächlich waren vor allem ein Mangel an Arbeitsplätzen oder zumindest solchen abseits der Landwirtschaft, welche seit den 1950er Jahren einen umfassenden Strukturwandel, vor allem bedingt durch eine immer stärker werdende Motorisierung und der damit einhergehenden Rationalisierung von Arbeitskräften, erlebte. Dennoch bleibt die Landwirtschaft bis heute der bedeutendste Erwerbszweig von Westermarsch I, wenngleich immer mehr Höfe auch vom prosperierenden Tourismus profitieren, indem sie Ferien auf dem Bauernhof anbieten. Der Küstentourismus in Westermarsch II hat nach Norddeich die größte Bedeutung innerhalb der Stadt Norden. Dabei sind diese beiden Orte im Laufe der Jahrzehnte immer weiter zusammengewachsen, sodass noch heute viele eigentlich in Westermarsch II befindliche Straßen und Orte fälschlicherweise Norddeich zugerechnet werden. Die Grenze zwischen den beiden Orten verläuft etwa mittig des Dörper Wegs.

Verwaltung

Friesland - und damit auch Ostfriesland - unterstand, anders als sonst zur Zeit des Lehnswesens üblich, im Mittelalter keiner zentralen Herrschaft. Dieses Vorrecht, die Friesische Freiheit, bekamen die Friesen der Legende nach von Karl dem Großen persönlich verliehen. Die Friesen unterstanden damit nur dem Kaiser und hatten ansonsten keine Herren über ihnen zu dulden. Stattdessen organisierten sie sich selbst in - mehr oder weniger - demokratischen Genossenschaften, in denen prinzipiell jeder gleichberechtigt war. Diese grundsätzliche Gleichberechtigung war jedoch oftmals an Eigentum gebunden, das viele faktisch nicht hatten. So wurden die öffentlichen Ämter der Richter (Redjeven), die neben der Aufgabe der Rechtsprechung auch als Vorsteher tätig waren und durch jährliche Wahlen besetzt wurden, vor allem von den reichen Bauern besetzt.

Dieses mehr oder weniger feste Konstrukt konnte bis in das 14. Jahrhundert standhalten, als sich schließlich aus den wenigen reichen und einflussreichen Familien - entgegen den Prinzipien der Friesischen Freiheit - ein Adel bildete. Das 14. Jahrhundert war durch viele schwere Sturmfluten, wie die Zweite Marcellusflut oder die Erste Dionysiusflut sowie eine verheerende Pestepidemie von 1350 bis 1360 geprägt. Viele Menschen kamen ums Leben und für die Überlebenden gab es größere Sorgen als die politische oder gesellschaftliche Teilhabe. Der Adel, der die Krisen besser als der große Teil der armen Bevölkerung überstand, nutzte diese Umstände, um seinen Einfluss zu vergrößern. Viele von ihnen verstanden es, die Lage geschickt zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie sahen ihre Autorität nicht mehr vom Willen der Gemeinde abhängig, sondern ihrem eigenen. Nach und nach formierten sich mehrere Häuptlingsgeschlechter. In der Westermarsch gelangten zunächst die Idzinga an die Macht, deren Hauptsitz in Itzendorf in der östlichen Westermarsch und später die Idzingaburg in Ostlintel war, aber auch die Manninga hatten nach dem Untergang ihrer Burg in Westeel noch das Groß Langhaus in ihrem Besitz. Die Steinhäuser der Häuptlinge, mit denen sie sich ohnehin von den oftmals erbärmlichen Behausungen der meisten Mitmenschen abhoben, vergrößerten sie weiter und formten daraus den ostfriesischen Typus an Burgen. Auch begannen sie, Söldnerheere aufzustellen, um ihren Machtanspruch im Zweifel mit Gewalt durchsetzen zu können.

Vor allem durch Kriege mit der mächtigen Hanse und dem Wiedererstarken der Großbauern verlor das Häuptlingswesen nach und seine Bedeutung. 1464 erhob Kaiser Friedrich III. den Häuptling Ulrich Cirksena in den Reichsgrafenstand und belehnte ihn mit Ostfriesland. Damit war die Friesische Freiheit endgültig abgeschafft und auch in Ostfriesland galten Feudalismus und Lehnswesen.

Ab 1464 bis 1744 stand Westermarsch I somit kein gewählter Vertreter bzw. Häuptling, sondern ein vom Grafen bzw. Fürsten bestellter Drost vor, der später auch den Titel Amtsverwalter trug. Dieser hatte neben der Oberaufsicht auch die gesamte Polizeigewalt inne. Ihm war ein Vogt beigestellt. Der Vogt war neben Westermarsch I auch für Westermarsch II sowie Süderneuland I und Süderneuland II zuständig. Ein sogenannter Auskündiger, der vom Drosten eingesetzt wurde, unterstützte den Vogten in seiner Arbeit und war diesem hierarchisch untergeordnet.

Unter dem Auskündigen wiederum standen mehrere Rottmeister, die jeweils ein Rott verwalteten. Westermarsch I hatte vier Rotten und damit vier Rottmeister. Sie hatten vor allem die Aufgabe, die Steuern in ihren Rotten einzutreiben und den Rottbewohnern ihre Pflichten anzusagen. Die Amtszeit der Rottmeister dauerte zwei Jahre, das Amt wurde danach im Rott an geeignete, männliche Bewohner neu vergeben. Westermarsch I entspricht der alten Rotteinteilung Rott 1 bis Rott 4, während Westermarsch II Rott 5 bis Rott 9 umfasst.

Im militärischen Bereich sind für das Jahr 1735 ein Leutnant und ein Fähnrich an der Spitze einer Landwehr (Miliz) belegt, die demokratisch gewählt wurden, jedoch vom Regenten bestätigt werden mussten.

Im 19. Jahrhundert stand der Gemeindevorsteher (Bürgermeister) an oberster Spitze in Westermarsch II. Es handelte sich jedoch um ein Ehrenamt mit vor allen repräsentativen Aufgaben. Während des Zweiten Weltkriegs hieß der Amtsinhaber Sjut Wübbens, welcher nach dem Krieg von den Allierten seines Amtes enthoben wurde.

Vom 1. Dezember 1965 bis 30. Juni 1972 gehörten die bis dahin eigenständigen Gemeinden Westermarsch I und II zur Samtgemeinde Leybuchtpolder, der auch Neuwesteel und Leybuchtpolder angehörten. Infolge der niedersächsischen Gemeindereform fiel die Samtgemeinde Leybuchtpolder am 1. Juli 1972 vollständig an Norden. Ein ehrenamtlicher Ortsvorsteher vertritt seither den Ort und seine Interessen gegenüber der städtischen Verwaltung sowie der Politik.

Bildung

Ein Schulsystem gab es schon, als der Ort Itzendorf noch bestand - also vor 1717. Von den Schulgebäuden in Itzendorf und Westerhörn ist heute nur noch letzteres vorhanden. Ab 1970 wurden die Kinder der Westermarsch II in der Altendeichsschule unterrichtet.

Religion

Es ist nicht belegt, dass es in der Westermarsch jemals einen Friedhof gegeben hat. Die Verstorbenen wurden in Norden beerdigt, die zuständige Kirche aller Norder Umlandgemeinden war die Ludgerikirche am Norder Marktplatz.

Die Bevölkerung ist überwiegend evangelisch-lutherisch und gehört mittlerweile zur Andreasgemeinde Norden, welche ihren Sitz im Warfenweg hat. Vereinzelt gibt es evangelisch-reformierte Bewohner, die die Kirche in Bargebur besuchen, sowie Mennoniten, die einst Schutzgeld zahlten und die in Norden am Marktplatz auf der Südseite seit 1795 ihre eigene Kirche besitzen. Die wenigen katholischen Bewohner gehen in die Kirche St. Ludgerus in Norden. In der Begegnungsstätte am Altendeichsweg finden regelmäßig Teenachmittage statt.

Gesundheit und Soziales

Westermarsch I war von jeher dem Armenverband Norden und dem Kirchspiel Norden angegliedert, so 1735 und 1870. Die Betreuung der Hilfsbedürftigen wurde früher von den Kirchengemeinden vorgenommen. Aus den umliegenden Gemeinden Westermarsch, Lintelermarsch und Ostermarsch, soweit sie nach Norden eingepfarrt waren, wurde ein Kirchenverwalter bestellt. Die dafür benötigten Gelder stammten aus eigenen Ländereien (Verpachtung und Erträge) und Kapitalvermögen. Später wurde das Armenwesen auf die Kommunen übertragen.

Wirtschaft und Verkehr

Blick gen Norddeich - Aufnahme vom 26. Juni 2022.

Haupterwerbszweig von Westermarsch II ist seit jeher die Landwirtschaft. Neben dem Ackerbau spielt auch die Viehzucht und -haltung sowie der Handel mit Kühen eine bedeutende Rolle. Kühe aus der Westermarsch haben einen international sehr guten Ruf und ihr Fleisch ist aufgrund des saftigen Marschlandes von besonderer Qualität. Seit den 1950er Jahren ist eine stetig wachsende Rolle des Tourismus zu beobachten. Ferien auf dem Bauernhof bieten mittlerweile viele Höfe neben ihrer landwirtschaftlichen Betätigung an.

Das Einwohnerverzeichnis von 1880 bzw. 1881 weist einen Krämer (auch Schenkwirt), einen Partikulier, einen Zimmermann und einen Zolleinnehmer, sowie jeweils zwei Gastwirte, Grenzaufseher und Schmiede aus.

Erst zwischen 1873 und 1875 wurde von der Stadt Norden bis zum Kleinen Krug in Utlandshörn eine Landstraße gelegt, von der aus später noch zwei kleine Nebenstraßen in nördlicher und südlicher Richtung angelegt wurden. So war es vorher zu Regenzeiten unmöglich, die Wege zu benutzen, da es ansonsten keine befestigte Straßen gab. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, vor allem Korn, mussten oftmals auf Schiffen die Kanäle entlang nach Norden transportiert werden. In umgekehrter Richtung galt dies auch für Waren, die nach Westermarsch II importiert wurden.

An die im Mittelalter übliche Salzsiederei durch Verbrennen von Salztorf erinnern heute noch Flurnamen wie Uden-Soltjers Warf oder Meint Hibben Salzbude. Spätestens seit 1564 wurde französisches und spanisches Seesalz und Lüneburger Salz eingeführt, so dass man die Salzsiederei in Westermarsch II zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgeben musste. Eine 1922 gegründete Elektrizitätsgenossenschaft wurde bereits im September 1931 wieder aufgelöst.

Erwähnenswerte Gebäude

Erhaltene Gebäude

Abgebrochene Gebäude

Einzelnachweise

  1. Rack, Eberhard (1967): Besiedlung und Siedlung des Altkreises Norden, Münster, S. 60
  2. Schreiber, Gretje (2017): Der Norder Hafen. Geschichte, Schifffahrt und Handel, Aurich, S. 115

Quellenverzeichnis

Siehe auch